Sonderkonzert
Instrumental- und Vokalmusik aus dem
Kaukasus
GEORGIKA
Freitag, 17.Mai
2002, 20 Uhr, Ehemalige Synagoge Wenkheim
Ein Abend mit traditioneller
Musik aus Georgien, dem Land an der Nahtstelle von Orient und Okzident, das seine uralte
Kultur auch heute noch lebendig lebt und sich doch gleichzeitig auf die Suche nach
Begegnung und Austausch mit seinen europäischen und asiatischen Nachbarn begibt.
Über
das Land:
Georgien (in der Landessprache: Kartuli) liegt im Westteil des Kaukasus. Es wird
begrenzt vom Schwarzen Meer im Westen, der Türkei und Armenien im Süden, Azerbaidschan
im Südosten, Dagestan im Nordosten und Rußland im Norden. Die Hauptstadt Tblissi (Tiflis) liegt am Fluß Kura, der in der Türkei entspringt, danach durch
Georgien und Azerbaidschan fließt, um schließlich ins Kaspische Meer zu münden.
Georgien ist ein Land schneebedeckter Berge und wilder Flüsse, dichter Wälder und
fruchtbarer Täler. Die Landwirtschaft ist hochproduktiv, insbesondere der Weinanbau hat
eine lange Tradition.
Georgien hat eine Fläche von
70tausend Quadratkilometern und wird von ca. 5,5 Millionen Menschen bewohnt, davon 1,2
Millionen in Tblissi. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind Georgier. Georgisch ist eine
uralte Sprache, die zur Ibero-Kaukasischen Sprachenfamilie gerechnet wird und eine eigene
Schrift besitzt. In alten Zeiten war Georgien im Westen unter dem Namen Kolchis und im Osten als Iberia bekannt. In der Griechischen Sage war
Georgien die Heimat von Aeëtes und Medea; das Land, wo das Goldene Vlies von Iason und
seinen Argonauten gesucht wurde.
Im 4. Jhd.v.Chr. wurde Georgien
Königreich. Seine Geschichte ist sehr turbulent. Ungeachtet der zahlreichen Einfälle
ausländischer Invasoren Araber, Mongolen, Türken, Perser hat Georgien
seine eigene Sprache bewahrt, ebenso wie seine Architektur, seine Religion und eine
einzigartige Gesangskultur.
Über
die vokale Tradition:
Die Gesangskultur im Kaukasus ist
einzigartig sowohl in ihrer harmonischen als auch speziell in Georgien ihrer
komplexen chorischen Mehrstimmigkeit. Denn Georgische Volkslieder entstanden und
entwickelten sich inmitten von Völkern, deren Lieder vor allem einstimmig waren.
Traditionelle polyphone Lieder werden zumeist a capella von Männerchören vorgetragen;
manchmal mit einer grundlegenden Begleitung der traditionellen Seiteninstrumente Phanduri und Chonguri.
Üblicherweise übernehmen reihum mehrere Solisten die Hauptmelodie in hoher Lage. Die
anderen Sänger begleiten den Gesang und das Gewebe aus mehreren unabhängigen
Melodielinien klingt gemeinsam sehr harmonisch.
Die Lieder widerspiegeln Landschaft,
Liebe, Familie, historische und Helden-Geschichten. Volkslieder begleiten traditionell die
Arbeit, die Jagd, Hochzeiten, Beerdigungen und Unterhaltungsveranstaltungen. Der
griechische Historiker Xenophon berichtet, daß im 4. Jhd. Kriegslieder und Tanzmusik
unter den georgischen Stämmen weit verbreitet waren. Schlachten wurden häufig von
Liedern begleitet. Folgt man georgischen Quellen, so wurde der mehrstimmige Gesang bereits
im 10.Jhd. ausgeübt; ganze 200 Jahre bevor in der Pariser Schule Ars Antiqua mit dem
Organum die Polyphonie in Westeuropa erste Anfänge nahm. Dennoch sind die westliche und
die georgische Gesangstradition zu verwandt, um völlig losgelöst voneinander entstanden
zu sein. Die Musikhistoriker sind sich bis heute nicht einig, ob es noch ältere
gemeinsame Wurzeln gibt, oder ob die Entwicklung im Kaukasus ihren Anfang nahm und sich
dann allmählich nach Westen ausbreitete.
Durch die geographische Lage und die
wechselvolle Geschichte des Landes bedingt, haben sich viele lokale Traditionen im
Volksgesang herausgebildet. In fast jedem Dorf gibt es eigene Versionen der alten
Volkslieder. Dies beweist, wie lebendig die georgische Folklore auch heute noch ist und
immer neu von der örtlichen Gemeinschaft geprägt wird.
In den Ebenen Ostgeorgiens, zu denen
die Provinzen Kartli und Kachetien gehören, hört man über dem Bordun des Chores ein
oder zwei solistische Stimmen, in den virtuosen Melismen der Sänger glaubt man dem Orient
nahe zu sein. In den nördlichen Bergregionen dagegen, wie z.B. in Swanetien, herrscht ein
homophoner Gesangsstil vor, für den allmähliche Temposteigerungen typisch sind. Eine
besonders komplizierte mehrstimmige Struktur weisen die Lieder aus Gurien (Westgeorgien)
auf, wo vorzugsweise solistisch gesungen wird und jede Stimme individuell gestaltet werden
kann. Den Gipfel der Virtuosität stellt das Krimantschuli
dar, eine Männerstimme in ungewöhnlich hoher Lage, die das Lied in jodelartiger Manier
begleitet. Die mehrstimmigen Lieder sind bis heute unabdingbarer Bestandteil der
Volkskultur Georgiens, sie haben ihren Platz sowohl bei der Arbeit und im Brauchtum wie
auch bei den großartigen Gastmahlen. Eine besondere Stellung nehmen die Kirchengesänge
ein. Ihnen ist eine grundsätzlich andere Gesangsart eigen, sie werden verhaltener
gesungen. Auch in den Kirchengesängen sind jedoch lokale Unterschiede vorhanden: die
westgeorgischen Gesänge klingen rauher und weisen mehr Dissonanzen auf als die harmonisch
eingängigeren ostgeorgischen.
Über die instrumentale Tradition:
Im Schatten der überaus reichen
vokalen Volksmusiktradition steht die weniger bekannte Instrumentalmusik Georgiens. Eines
der wenigen solistischen Instrumente ist die Flöte Salamuri.
Begleitinstrumente sind die dreisaitige Laute Phanduri
sowie die viersaitige Chonguri und die Harfe Changi, die gelegentlich auch den Gesang
unterstützen. Typisch für die ländlichen Regionen sind Tanzmelodien und Hirtenlieder.
Die Flöte Salamuri ist ein sehr altertümliches
Volksinstrument der Georgier. Salamuris wurden früher aus Schilfrohr und aus
Aprikosenholz gefertigt. Beide unterscheiden sich sowohl in ihrer Größe als auch im
Timbre voneinander. Rohrflöten sind in ganz Georgien populär. Sie werden heute aus
Aprikosen- oder Walnußholz gemacht. Man kann auf der Salamuri sowohl georgische
Volksweisen als auch Musikstücke ausländischer Komponisten aufführen.
Die Phanduri ist vor allem in Ostgeorgien,
insbesondere in Phsav-Khevsureti, Tsheti, Kiziki, Kartli und Kakheti verbreitet. Eine alte
Phanduri hatte entweder drei oder sieben Bünde und sie wurde vor allem als Instrument
für die Festmusik verwendet, wo man mit ihr Tanzmelodien oder auch Spottlieder vortrug.
Die Reihenfolge ihrer Saiten lautet: g, a, c. Die moderne Phanduri ist in Halbtöne
unterteilt. Man kann traditionelle georgische Melodien auf ihr genauso gut spielen wie
klassische Kompositionen. Sie ist wie folgt bespannt: a, c, e. Die Bass-Phanduri wird nur im Ensemble verwendet und
hat die Funktion eines Begleitbasses. Sie ist mit den Saiten G, d und a bespannt.
Die Chonguri ist ein sehr populäres Musikinstrument
besonders im Westen Georgiens: Guria und Samegrelo. Man kann darauf sowohl Tanzweisen als
auch festliche Lieder spielen. Die Chonguri ist ein 4saitiges, bundloses Zupfinstrument
mit der Saitenfolge: f, a, c, f.
Über die Künstler:
Die Mitglieder des Trios Georgika gelten in ganz Georgien als unbestrittene
Meister auf ihren Instrumenten. Sie gehören zu einem insgesamt 15köpfigen Ensemble,
welches im Juni 2002 einige Konzerte in Deutschland geben wird, die von georgischen
Tänzern begleitet werden. Ergänzt wird das Trio für das heutige Sonderkonzert durch
einen der besten Sänger Georgiens, der heute in Stuttgart lebt.
Es musizieren:
Aleko Khizanishvili:
Salamuri, Chonguri, Gesang
Khvicha Khvtisiashvili:
Phanduri, Gesang
David (Dato) Bukhsianidze:
Bass
Phanduri, Gesang
Mamuka Tchitchinadze:
Gesang
Über das Zustandekommen dieses Konzertes:
Artikuss
e.V., der Verein für interkulturelle Verständigung, hat seit vielen Jahren
Kontakt zu georgischen Künstlern. Es begann mit dem Besuch eines Konzertes der
georgischen Gruppe Adio, bei dem sofort der
Funke übersprang. Es folgte ein Workshop in Lauda mit dem Gesangsmeister des Ensembles: Avtandili Ungiadze, der heute ein bedeutendes
Kirchenmusikensemble in Georgien leitet. Die vokale Gesangskunst Georgiens hat uns seit
diesem Kurs nicht mehr losgelassen und ist fester Bestandteil des Repertoires unseres
Chores Inselmut. Mit Dr. Zaza Miminoschwili, dem mit vielen Preisen
bedachten Gitarristen der Gruppe Adio, folgten Gesangs-Kurse in der Schweiz und im
Taubertal, in denen stets die Suche nach den verbindenen Elementen der großen Kulturen
West-, Osteuropas und Asiens im Mittelpunkt stand. Ein weiterer großartiger Künstler kam
aus Georgien nach Deutschland: Zurab J. Gagnidze,
ein begnadeter Sänger und Bassist. Er leitete 1999 einen Gesangskurs auf unserem
Sommercamp für Musik und Bewegung Artival auf
Burg Breuberg im Odenwald und wird dies voraussichtlich 2003 wieder tun.
Beide Künstler, Zaza und Zurab, bilden
heute das Duo Shin (georgisch: für
heim). Sie leben in Deutschland und haben sich der Suche nach der
Verschmelzung von traditioneller georgischer Musik mit Jazz, Orient und europäischer
Musik verschrieben. In ihre Arbeit beziehen sie immer wieder Künstler aus ihrer Heimat
mit ein. So gastiert zur Zeit das Trio Georgika
für einige Wochen in Deutschland, wodurch wir in der glücklichen Lage sind, ein Konzert
der Extraklasse außerhalb unseres normalen Jahresprogrammes veranstalten zu können.
Die Gemeinde Wenkheim und der Synagogenverein haben durch die kurzfristige
Zurverfügungstellung der ehemaligen Wenkheimer Synagoge dazu beigetragen, daß wir
spontan das Angebot der Künstler zu einem Sonderkonzert annehmen konnten. Herzlichen
Dank.
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